5. Die Auslandskirche unter dem Natio-
nalsozialismus:
Gab es eine Kollaboration?

Über die politische Einstellung des Bischofsynods wie

auch einzelner Hierarchen der Auslandskirche zum Natio-

nalsozialismusistseitdemII. Weltkrieg vielgeschrieben

w o r den. Es wurde in diesem Zusammenhang immer wie-

der der Vorwurf erhoben, die auslandsrussische Geistlich-

keithabeeng mitdenNationalsozialisten zusammenge-

arbeitet. Diese Anklagen gingen zunäc hst von kommuni-

stischer Seite aus, wurden dann aber vom Moskauer Patri-

a r chatund anderen russischen Jurisdiktionen (Pariser ru s -

sischesErzbistum,Teiledern o r d a m e r i k a nischen Metro-

polie)

übernommen.

WichtigstesZiel

dieser

Ve r l e u m-

dungskampagnewardieIsolierungderA u s l a n d s k i r c h e

d u r ch

politischeDiskriminierung.DieBehauptung,die

A u s l a n d s k i rchehabe

mitdemNaziregimekollaboriert,

diente zum Teil auch alsSchutzbehauptung für den eige-

nen Weg. Dies galtspeziell für die sowjetrussische Regie-

rung und das MoskauerPatriarc hat.DieA u s l a n d s k i r c h e

war b eiden unbequem, da sie die verlogene Pro p a g a n d a

von der „Freiheit der Kirche und Religion“ in der Sowjet-

unionalsLüge entlarvte unddie Verfolgung der Kirc h e ,

der Geistlichkeitund der Gläubigen, sowie deren Martyri-

umimmerwieder in dasBewußtseinder westlichenÖf-

fentlichkeit gerückt hatte.

Die Moskauer Kirchenleitung propagierte seit der
L o y a l i t ä t s e r k l ä r ung des Jahres 1927 das sowjetische Pro-

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Berlin, Kirche zur Auferstehung Christi,
sog. „Stockwerkskirche“

pagandabild von der Freiheit derKirche und Religion in

S o w j e t r ußland. Jegliche Verfolgung der Geistlichkeitund

der Gläubigen wurde von den Bischöfen desPatriarc h a t s

bis in die jüngste Vergangenheit in Abrede gestellt, zumin-

destaberverschwiegen.DieA u s l a n d s k i rchesiehtesals

schwerwiegendes kirchliches Problem an, wie dieser We g

von der offiziellen Kirchenleitung - häufig unter Beru f u n g

auf die Lehre der orthodoxen Kirchenväter - gere c h t f e r t i g t
w u r de. Das Moskauer Patriarchat ist seit1927einen We g

der Unterwerfung unter das atheistische Sowjetregime ge-

gangenundhatdurch seine Unterstützung dersowjeti-

schenPropagandadiewahreLagederKircheundder

GläubigeninderSowjetunionzumSchadenderKirc h e

falschdargestelltundsogarzurVernichtungderKirc h e

d u r ch seine Kollaboration mitder Sowjetmachtbeigetra-

gen. DasPatriarchatmachtesich die Pro p a g a n d a s t e r e o-
typen -zunächst von der „Konterrevolution“, nach1945

von der „Nazikollaboration“ -der Staatsmachtgegen die

Auslandskirche zu eigen. Diese Propaganda wurde immer

dann aktiviert, wenn es darum ging, die Stimme der freien

Russischen Kirche zu diskre d i t i e r en. Auch nach dem Um-

b r uchinderSowjetunion griffdasPatriarchatnochauf

diesealtenKlischeeszurüc k.SoverabschiedetedasBi-

schofskonzil der russisc hen Patriarc h a t s k i r che, das vom
25. bis 27. Oktober 1990tagte, einen “Aufruf an die Erz-

hirten, Hirten und die wahre Herde der Russischen Ortho-

doxen Kirche”(imAusland, Anm. G.S.),inderdiealten

VorwürfederKooperationerneutaufgegriffenwurd e n .

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Vo rd e rgründigging esumdie Rückgabe desru s s i s c h e n

K i rchenbesitzesinD e u t s c h l a n d ,

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tatsächlic hwolltendie

Bischöfe aberihreeigene loyaleHaltung gegenüberden

atheistischen Machthabern rechtfertigen. Sie erhoben die

Frage, obdieA u s l a n d s k i rche moralischberufen sei,auf

die Kooperationsbereitschaftder Moskauer Bischöfe hin-

zuweisen, da auch die emigrierten Bischöfe vor den Nazis

kapituliert hätten. In der Konzilsbotschaft heißt es “Erin-

nern wir uns, daß in der Zeit des faschistischen Regimes in

Deutschland die Auslandskirche in diesem Land durchaus

nicht‘frei’und‘unabhängig’vonderweltlichenMacht

w a r . Mehr noch, ihre Führung verabscheute nicht den Bei-

stand der Gestapo bei der gewaltsamen Aneignung (z a c h-

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Berlin 1936 – Prozession von der alten Stockwerkskirche zur
neuen Kathedrale