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21. März – Der hl. Benedictus von Nursia

überliefert, aber seine Amme zog mit ihm, da sie so sehr an ihm hing.

Zuerst lebten sie an einem Ort Effide, heute Affile, bei Subiaco gelegen.

Dort fanden sie Unterkunft auf dem Kirchengelände von St. Peter.

Als die Amme eines Tages ein Sieb aus Keramik, welches sie zum Sieben von Weizen

brauchte, ausgeliehen hatte, geschah es, daß sie das Sieb, aus Versehen am Tischrand

stehen lies, und als sie Heim kam lag es zerbrochen auf dem Boden. Darüber äußerst

betrübt begann sie heftig zu schluchzen. Der jugendliche Benedict nahm daraufhin, von

Mitleid erfaßt, die beiden Teile des Siebes und begann zu beten. Als er vom Gebet

wieder aufstand, war das Keramiksieb wieder ganz, so daß nicht einmal mehr die Spur

eines Risses zu sehen war, und gab es seiner Amme zurück. Dieses Wunder sprach sich

überall herum, und die Dorfbewohner hängten in der Folge das Sieb über dem Eingang

ihrer Kirche auf, damit alle sehen sollten wie vollkommen Benedict von Anfang an

gewesen war, schon bei dem bloßen Entschluß die Anstrengungen der Selbstentsagung

auf sich zu nehmen.

Bald darauf verlies Benedict heimlich auch seine Amme und zog sich an einen einsamen

Ort namens Sublacus, heute Subiaco genannt zurück, denn er hatte die Ehre, die von

Gott kommt, lieber als das Lob dieser Welt. Dort lebte er in einer von einer hohen

überhängenden Felswand geschützten Höhle und wurde nur von Zeit zu Zeit von

einem Möch namens Romanus aus einem nahegelegenen Kloster heimlich mit Brot

versorgt. Eines Tages erschien ihm dort der Versucher in der Gestalt einer Amsel, die in

Armeslänge um ihn herum, und vor seinem Gesicht hin und her flatterte. Als er das

Kreuzeszeichen machte flog der Vogel davon. Dabei überkam den hl. Mann eine

heftige sinnliche Versuchung, wie er sie zuvor nie verspürt hatte; irgendwann hatte er

ein Mädchen gesehen. Dieses ließ der böse Geist

vor seinem inneren Auge erstehen und entfachte in seinem Herzen eine solch

leidenschaftliche Begierde nach ihrer Schönheit, daß er den Brand der Liebe in seiner

Brust kaum bezwingen konnte und, von Wollust überwältigt, nahe daran war, die

Einsamkeit aufzugeben.

Aber da traf ihn im selben Augenblick ein Strahl der Gnade von Oben, und er faßte sich

wieder; er sah, daß dicht daneben Brennesseln und Dorngestrüpp üppig wucherten. Da

zog er sein Kleid aus und warf sich nackt in die stacheligen Dornen und brennenden

Nesseln. Eine ganze Zeit wälzte er sich darin und stand daraus erst auf, nachdem sein

ganzer Körper über und über mit Wunden bedeckt war. Durch die Wunden in seiner

Haut trieb er die Wunde in seinem Geist aus dem Körper; denn er kehrte Lust in

Schmerz; und während er äußerlich infolge der harten Selbstkasteiung wie Feuer

brannte, löschte er, was im Innern unerlaubt loderte. So besiegte er die Sünde, indem er

den Brand tauschte.

Von der Zeit an war in ihm die Versuchung zur Wollust - wie er später seinen Jüngern

mehrmals erzählte - so ganz und gar bezähmt, daß er in sich nie wieder dergleichen

verspürte.

Von da an begannen viele, sich von der Welt zurückzuziehen und unverzüglich ihm als

Lehrmeister zuzueilen. Denn wer frei ist vom Übel der Versuchung, wird zu Recht zum

Lehrmeister der Tugend.

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21. März – Der hl. Benedictus von Nursia

Als der Abt eines in der Nähe gelegenen Klosters gestorben war, baten die verwaisten

Mönche den hl. Benedikt ihr Abt zu werden. Lange weigerte er sich, denn er sah

vorraus, und sagte dies auch, daß seine Lebensweise mit der ihren nicht harmonieren

würde. Schließlich aber gab er ihren Bitten nach. Als er aber in jenem Kloster auf

genaue Einhaltung der Regel bestand und niemand mehr wie früher durch unerlaubtes

Tun, auch nur einen Schritt, vom rechten Weg des monastischen Gehorsams abweichen

durfte, begannen die Brüder sich Vorwürfe zu machen, ihn als Oberen verlangt zu

haben. Unerlaubtes blieb unter ihm unerlaubt und sie waren gezwungen ihre frühere

Lebensweise aufzugeben. Schließlich begannen sie darüber nachzusinnen ihn aus dem

Weg zu räumen, und nach kurzer Zeit wurden sie sich einig ihn zu vergiften. Als Vater

Benediktus einmal am Tisch saß, reichten sie ihm nach dem Klosterbrauch den gläseren

Krug, nun aber mit dem tödlichen Trank zur Segnung. Benedikt machte darüber mit

ausgestreckter Hand das Kreuzeszeichen. Da ging der Krug, der ihm aus einiger

Entfernung entgegengehalten wurde, so in Scherben, als hätte er gegen das Gefäß des

Todes statt des Kreuzeszeichens einen Stein geschmettert. Der Mann Gottes merkte

sofort, daß der Krug einen Todestrank enthielt, weil er das Zeichen des Lebens nicht

ertrug. Augenblicklich erhob er sich und sprach mit gelassener Miene und innerer Ruhe

zu den versammelten Brüdern:

“Brüder, der allmächtige Gott erbarme sich euer! Warum habt ihr mir dies

antun wollen? Warum? Hatte ich euch nicht zuvor gesagt, eure Lebensweise verträgt

sich nicht mit der meinen? Darum geht hin und sucht euch einen anderen Vater nach

eurer Sinnesart. Denn mich könnt ihr nach dem, was vorgefallen ist, auf keinen Fall

weiterhin als euren Abt halten.”

Darauf kehrte er in seine geliebte Einöde zurück und wohnte allein mit sich selbst unter

den Augen Dessen, Der aus der Höhe herniederschaut.

Als der Ruf des heiligen Mannes in seiner Einsiedelei dank seiner Tugendhaftigkeit und

seiner Zeichen wuchs, sammelten sich dort viele, um dem allmächtigen Gott zu dienen.

Es waren so viele, daß er unterstützt vom allmächtigen Herrn Jesus Christus, zwölf

Klöster bauen konnte. In jedes schickte er zwölf Mönche, und über jedes bestellte er

einen Vater. Einige wenige Mönche, von denen er meinte, sie seinen besonders

geeignet, von ihm persönlich angeleitet zu werden, behielt er in seiner persönlichen

Obhut.

Zu jener Zeit begannen auch gottesfürchtige Edelleute aus der Stadt Rom ihn

aufzusuchen, um ihm ihre Söhne zur Erziehung für den allmächtigen Herrn

anzuvertrauen.

Einer seiner Mönche war der geistigen Unstetigkeit dermaßen verfallen, daß er es im

Kloster nicht länger aushielt. Der Mann Gottes tadelte ihn unaufhörlich, ermahnte ihn

immer wieder, allein dieser wollte unter keinen Umständen in der Gemeinschaft

bleiben und lag ihm bei passender und unpassener Gelegenheit in den Ohren, er möge

ihn doch ziehen lassen. Eines Tages hatte der ehrwürdige Vater die ewige Bettelei satt

und befahl ihm zornig, er solle sich davonmachen.

Kaum hatte er das Kloster verlassen, da stieß er unterwegs auf einen Drachen, der ihm

mit aufgesperrtem Rachen den Weg versperrte. Als der Drache, der ihm vor die Augen

gekommen, Miene machte, ihn zu verschlingen, fing er, zitternd und bebend, aus

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Leibeskräften zu schreien an:“Hilfe, Hilfe! Der Drache da will mich

verschlingen!“ Die Brüder eilten herbei, sahen aber weder Schimmer noch Schatten

eines Drachen. Den an allen Gliedern zitternden Mönch führten sie ins Kloster zurück.

Augenblicklich gelobte er, sein Kloster nie wieder zu verlassen. Seitdem blieb er seinem

Gelübde treu. Durch das Gebet des heiligen Mannes hatte er vor seinen Augen jenen

Drachen zu sehen bekommen, hinter dem er zuvor, ohne ihn zu sehen, hergelaufen

war.

Ein Gote namens Tzalla, Anhänger der Irrlehre des Arius, wütete zur Zeit ihres Königs

Totila voll glühenden Hasses in ganz unmenschlicher Grausamkeit gegen die frommen

Männer der Kirche. Kein Kleriker und kein Mönch, der ihn zu Gesicht bekam, entkam

lebendig seinen Händen.

Eines Tages quälte er in brennender Habgier und auf Raub erpicht ganz grausam einen

Bauern, indem er seinen Leib mit vielen Martern gleichsam zerfleischte. Schließlich

sagte der Bauer, durch die Folterqualen völlig zermürbt, damit die Grausamkeit

aufhöre, solange sein Peiniger dieses glaube und er eine Schonfrist gewinne, er habe

seinen Besitz dem Diener Gottes Benedictus anvertraut. Und wirklich hörte Tzalla auf,

den Bauern mit seinen Folterungen zu quälen. Dafür aber schnürte er ihm die Arme

mit starken Riemen zusammen und trieb ihn vor seinem Pferd einher. Er solle ihm

einmal zeigen, wer dieser Benedictus sei, der seinen Besitz in Verwahrung habe.

Der Bauer ging so mit zusammengebundenen Armen vor ihm her und brachte ihn

zum Kloster des heiligen Mannes. Diesen traf er vor dem Klostereingang an, wie er

allein dasaß und las. Der Bauer sagte zu Tzalla, der hinter ihm heritt und wütete und

tobte:

“ Siehe, das ist der Mann, von dem ich vorher gesprochen habe, der Vater

Benedictus. “

Voller Wut und mit der Raserei eines verkehrten Geistes richtete er seinen Blick auf ihn

und schrie laut, meinend, er werde in der gewohnt schreckenerregenden Art auftreten

können:

“Steh auf, du, steh auf! Und den Besitz dieses Bauern hier, den du verwahrst,

gib heraus!”

Auf sein Rufen hin blickte der Mann Gottes alsbald vom Lesen auf und musterte ihn.

Dann faste er den Bauern ins Auge, der gefesselt dastand. Als sein Blick über dessen

Arme glitt, lösten sich wunderbarerweise die um die Arme geschnürrten Riemen mit

einer Schnelligkeit, wie sie Menschenhände nicht flinker hätten losknüpfen können. Da

stand der Mann, der gefesselt gekommen war, plötzlich von den Fesseln gelöst neben

ihm da.

Angesichts einer so gewaltigen Macht überkam Tzalla ein Zittern. Er fiel zu Boden,

beugte seinen grausamen, harten Nacken bis zu den Füßen des heiligen Mannes herab

und empfahl sich dessen Gebeten. Allein, dieser stand gar nicht von seiner Lektüre auf.

Er rief die Brüder und ordnete an, den Mann mit hineinzunehmen, damit er ein

Weihbrot als Geschenk erhalte. Als er wieder zu ihm zurückgeführt wurde, ermahnte

er ihn, er solle von seinen unsinnigen Grausamkeiten ablassen.

Als gebrochener Mann ging der Gote fort; er wagte es nicht, dem Bauern, den der

Mann Gottes von seinen Banden nicht durch Berührung, sondern durch seinen Blick

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gelöst hatte, auch nur das Geringste abzufordern.

Auch aus der Grotte, wo er anfänglich gelebt hat, bei Sublacus, werden bis heute

Wunder bekannt, wenn der Glaube der Hilfesuchenden darum bittet. Denn was ich

jetzt erzähle, hat sich in jüngster Zeit zugetragen.

Eine Geistesgestörte irrte nämlich völlig verwirrten Sinnes Tag und Nacht umher,

durch Berge und Täler, Wälder und Felder. Nur dann ruhte sie, wenn die Müdigkeit sie

zwang, sich zu setzen. Eines Tages nun, als sie sich beim Herumirren verlaufen hatte,

kam sie zu der Höhle des heiligen Vaters Benedictus. Ohne zu wissen, wo sie war, ging

sie hinein und nächtigte dort. Als es aber Morgen wurde, trat sie heraus und war ihrer

Sinne wieder mächtig und gesund, als ob sie nie geistesgestört gewesen wäre. Ihr

Leben lang behielt sie die Gesundheit, die sie dort wiedererlangt hatte.

Wer könnte in diesem Leben über Paulus stehen, der dreimal zum Herrn gebetet hat

wegen jenes Pfahls im Fleisch, und dennoch nicht erlangte, was er erbat?

Darum muß ich dir unbedingt noch vom ehrwürdigen Vater Benedictus erzählen, daß

es bei ihm etwas gab, was er wollte, jedoch nicht erreicht hat.

Seine Schwester, Scholastika mit Namen, von Kindheit an dem allmächtigen Gott

geweiht, pflegte ihn nämlich einmal im Jahr zu besuchen. Dann stieg der Mann Gottes

zusammen mit einigen Begleitern den Berg herab zu einem in der Nähe gelegenen

Klosterhof. Diesen Tag verbrachten sie im Lob Gottes und in heiligen Gesprächen. Bei

Einbruch der Dämmerung nahmen beide gemeinsam Speise zu sich. Als sie noch

gemeinsam bei Tisch saßen und es über den Gesprächen schon spät geworden war,

kam diese gottgeweihte Frau, seine Schwester, mit einer Bitte. Sie sagte zu ihm:

“Ich bitte dich, mich heute nacht nicht allein zu lassen. Dann können wir uns

bis zum Morgen über die Wonnen des himmlischen Lebens unterhalten.“ Er erwiderte

aber:

“Was sagst du da, liebe Schwester? Ich kann unmöglich außerhalb des

Klosters übernachten.“

Der Himmel war heiter und kein Wölkchen zu erblicken. Als aber die gottgeweihte

Frau die Absage ihres Bruders hörte, legte sie die Hände mit ineinander

verschlungenen Fingern auf den Tisch und neigte ihr Haupt bis auf die Hände herab,

um den allmächtigen Herrn zu bitten. Als sie dann das Haupt vom Tisch wieder erhob,

brach ein Gewitter mit Blitz und Donner und einem solchen Wolkenbruch los, daß

weder der ehrwürdige Benedictus noch die Brüder, die mit ihm gekommen waren, den

Fuß vor die Schwelle des Hauses, wo sie beisammen waren setzen konnten. Denn als

die gottgeweihte Frau ihr Haupt bis auf die Hände neigte, hatte sie auf den Tisch eine

Flut von Tränen geweint, und diese brachten den heitern Himmel zum Regen. Dabei

erfolgte der Wolkenbruch nicht etwa erst nach dem Gebet. Nein, Gebet und

Wolkenbruch gingen derart gleichzeitig miteinander einher, daß sie beim ersten

Donnerschlag ihr Haupt vom Tisch aufhob. Das Erheben des Hauptes und das

Herabströmen des Regens waren eins.

Während Blitze zuckten, Donnerschläge hallten und der wolkenbruch-artige Regen

niederging, begann der Mann Gottes, der erkannte, daß er nicht zu seinem Kloster